12. August 2021
Norbert Walter-Borjans sagt, die beiden Gewerkschaften müssten an einem Strang ziehen. Mittelständler halten den Zeitpunkt der Arbeitsniederlegung für schlecht gewählt.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat das Vorgehen der Lokführergewerkschaft GDL beim aktuellen Bahnstreik kritisiert. Wirksame Interessenvertretung setze voraus, “Kräfte zu bündeln und Verständnis bei den Reisenden zu gewinnen”, sagte Walter-Borjans dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). “Beides gelingt nicht, wenn die Beschäftigtengruppen der Bahn auseinanderdividiert und die Kunden durch praktisch unangekündigte Streikaktionen düpiert werden.” Auch die mitgliederstärkere, konkurrierende Eisenbahnerorganisation EVG hatte den Streik kritisiert, weil nur eine Minderheit der Bahn-Belegschaft für die Arbeitsniederlegung gestimmt habe. null
Der SPD-Chef sagte, die Gewerkschaften EVG und GDL müssten an einem Strang ziehen. “Wir brauchen eine leistungsfähige Bahn mit attraktiven Arbeitsbedingungen”, sagte Walter-Borjans. Die SPD stehe an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Bahn, die “zweifellos zu den systemrelevanten Beschäftigten” gehörten. “Ein Gehaltsgefüge, bei dem sich Bahnvorstände satte Bonuszahlungen genehmigen, die Bezahlung von Lokführern aber offenbar keinen Anreiz bietet, die vielen offenen Stellen besetzen zu können, erzeugt zwangsläufig Unmut.
Der Streik der Lokführerinnen und Lokführer hatte den Bahnverkehr vielerorts zum Stillstand gebracht. Der von der GDL ausgerufene Ausstand hatte am Dienstagabend im Güterverkehr begonnen, in der Nacht zu Mittwoch wurde er auf den Personenverkehr ausgeweitet. Im Fernverkehr fallen derzeit drei Viertel aller Verbindungen aus. Der Regional- und S-Bahn-Verkehr ist massiv eingeschränkt. Die Deutsche Bahn beklagte angesichts des Streiks eine Störung der Lieferketten in der Industrie. Nach Angaben der GDL soll der Streik am Freitag vorerst beendet werden.
“Dann wird es sehr schnell sehr teuer”
Kritik üben Wirtschaftsvertreter auch am Termin des Streiks: “Es ist jetzt nicht die Zeit für Streiks zulasten von Betrieben und Bürgern”, sagte Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft dem RND. Die Wirtschaft erhole sich gerade erst von den Zwangsschließungen. “Die Betriebe zahlen die Zeche für die Profilierungssucht des GDL-Chefs.” Er fordert die Kontrahenten auf, “schnellstens an den Verhandlungstisch zurückzukehren und aufeinander zuzugehen”.
Nach Einschätzung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) können bei einem längerfristigen Bahnstreik volkswirtschaftliche Kosten von bis zu 100 Millionen Euro täglich entstehen. “Kurzfristige Ausfälle sind im Schienengüterverkehr nichts Ungewöhnliches, das kennen die Logistiker und können entsprechend reagieren”, sagte IW-Verkehrsökonom Thomas Puls dem RND. “Ab dem vierten oder fünften Streiktag allerdings drohen Lieferketten zu reißen – und dann wird es sehr schnell sehr teuer.” Die GDL will in der nächsten Woche über das weitere Vorgehen entscheiden.