Besonders der Mittelstand leidet
26. März 2019
Die europäischen Sanktionen gegen Russland haben deutsche Unternehmen getroffen. Dabei leidet vor allem der Mittelstand in Ostdeutschland unter der Situation, erklärt der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Prof. Markus Jerger, im Interview mit OstContact.
Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft Prof. Markus Jerger. Foto: C.Kruppa
Prof. Jerger, die Russland-Sanktionen wurden abermals verlängert. Gibt es Anzeichen, dass sich in diesem Jahr etwas ändert?
Jerger: Auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim haben die EU und andere Staaten gegenüber Russland mit sektoralen Wirtschaftssanktionen reagiert. Russland wurde auch von der G8-Gruppe ausgeschlossen. Die Russische Föderation reagierte ihrerseits mit einem Embargo im Agrar- und Lebensmittelbereich. Die Folge war ein Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts allein im Jahr 2015 um 2,8 Prozent. Seit 2018 verzeichnet das Land eine leichte konjunkturelle Erholung. Dies wird vor dem Hintergrund der internationalen Handelskrisen aber kaum anhalten. Einen Wegfall der Sanktionen erwarten wir vorerst nicht. Das geht zweifelsfrei auch zulasten der mittelständischen Unternehmen in Deutschland.
Wie haben die Sanktionen den deutschen Mittelstand getroffen?
Jerger: 2012 und 2013 war der deutsch-russische Handel auf Rekordniveau. Mit den Sanktionen brach das Handelsvolumen 2014 und 2015 jedoch ein. Seit 2016 ist der deutsch-russische Handel wieder auf Erholungskurs. Deutschland ist zweitwichtigster Lieferant Russlands. 2016 kamen etwa zehn Prozent der russischen Importe aus der Bundesrepublik. Die wichtigsten deutschen Importgüter im Jahr 2017 waren Maschinen, Nahrungsmittel, Kfz und Elektrotechnik. Dementsprechend wurde auch die mittelständische Wirtschaft hierzulande getroffen. Viele mittelständische Betriebe, insbesondere in Ostdeutschland, haben traditionell gute Geschäftsbeziehungen mit Russland. Ein Drittel unserer Mitgliedsunternehmen unterhält ein Exportgeschäft. Bei fast einem Siebtel der gesamten Mitglieder wirken sich die Russland-Sanktionen negativ auf die Geschäftstätigkeit aus. Weil sie ihre Produkte nun nicht mehr liefern dürfen, geraten immer mehr von ihnen in existenzielle Schwierigkeiten – bis hin zur Insolvenz. Das Verbot für den Export von Dual-Use-Gütern ist für Mittelständler eine Herausforderung. Das bedeutet viel Aufwand, Bürokratie, Erfahrung und Wissen. Die großen Konzerne agieren weltweit, sie können es sich leisten, in einem Markt drei bis fünf Jahre weniger zu verdienen. Das können kleine und mittelständische Unternehmen weder zeitlich noch finanziell. Es ist vor allem die Unsicherheit, die die Unternehmen abschreckt. Unternehmen, gerade kleine, verlieren immer mehr Möglichkeiten, im Ausland tätig zu werden. Als Konsequenz ziehen sie sich zurück und nehmen den Verlust kampflos hin, weil Geld, Ausdauer und Unterstützung durch die Politik fehlen. Die Bundesregierung muss sich deshalb stärker für den Mittelstand einsetzen. Denn die Situation schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt.
Die neuen US-Sanktionen gelten als besonders gefährlich, weil man nicht weiß, in welcher Form und wie sie Unternehmen treffen können. Was raten Sie deutschen Unternehmen?
Jerger: Die Vereinigten Staaten sind bestrebt, die eigene Industrie mittels der Sanktionen zu stärken – entsprechend dem „America First“-Prinzip von US-Präsident Trump. Die EU hingegen verfolgt vorrangig politische Ziele. Unternehmen sollten hier vor allem vorsichtig agieren. Eine Entspannung der Lage unter Trump ist nicht wahrscheinlich.
Wirtschaft beiseite. Gibt es politisch überhaupt eine Wahl: Sanktionen oder nicht?
Jerger: Eine Lösung der Ukraine-Krise kann nur mit Putin gelingen, nicht gegen ihn. Die Bundesregierung sollte deshalb auf Kooperation statt Konfrontation setzen. Es wäre wichtig, dass Brüssel mit Moskau einen Kompromiss aushandelt. Denn die Sanktionen haben keinen Sinn. Entweder man sanktioniert ein Land, weil es für die Weltgemeinschaft nicht mehr tragbar ist oder nicht. Aber wenn man sich für Sanktionen entscheidet, dann darf es auch keine Coca-Cola, Marlboro oder Hilton-Hotel-Zimmer mehr in diesem Land geben. Was aus unserer Sicht nicht geht, ist, sich durch Sanktionen ein Eigentor zu verpassen. Denn was wir nicht mehr exportieren, liefern jetzt zu großen Teilen Indien, China oder Korea. Russland bekommt nach wie vor seine Produkte, nur nicht aus Deutschland. Damit ist aber der Sanktionsmechanismus ausgehebelt. Sanktionen verfehlen ihr Ziel, schlimmer noch, sie schaden vor allem uns selbst. Das halte ich für falsch.
Prof. Jerger, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Elena Matschilski.
Prof. Dr. h.c. Markus Jerger ist Bundesgeschäftsführer des BVMW. Jerger ist internationaler Unternehmer, Turn-around-Spezialist und Immobilienentwickler mit 30 Jahren Berufserfahrung.